Am 11. September traten über vierhundert Velofahrerinnen und Velofahrern beim Race for Life in Bern in die Pedale, um Spendengelder für Krebsbetroffene zu sammeln. Unter ihnen auch 18 Teams des Tumorzentrums der Insel Gruppe, dem University Cancer Inselspital UCI. Prof. Dr. Daniel Aebersold, Vorsitzender des Zentrums, über Fortschritte in Forschung und Medizin, den Alltag in der Krebssprechstunde und Motivation.
Solidarität und Teamgeist – zwei Worte, die auf dem Berner Bundesplatz immer wieder fielen am Sonntag, 11. September 2022. Sie sind nicht nur wichtig bei einem Event wie dem Race for Life, bei dem Spendengelder für diverse Krebsorganisationen und die Forschung gesammelt werden, sondern auch für die Arbeit im Tumorzentrum der Insel Gruppe. Obwohl auch im Alltag ganz viel davon zu spüren sei, komme das Gespräch auf menschlicher Ebene da manchmal zu kurz, sagt Daniel Aebersold. Umso mehr habe er es geschätzt, am Benefiz-Velomarathon Zeit dafür zu haben – wenn auch auf Kosten des Fahradfahrens.
Herr Aebersold, sind Sie vergangenen Sonntag beim Race for Life auch mitgefahren?
Ja, aber nur eine kleine Runde. Ansonsten habe ich den Tag für intensive Gespräche genutzt.
Mit wem?
Mit ganz unterschiedlichen Leuten. Neben Betroffenen und Angehörigen zum Beispiel auch mit Vertreterinnen und Vertretern von Stiftungen und Forschungsorganisationen oder der Pharmaindustrie. Der Kampf gegen Krebs muss ein gemeinsamer sein, umso wichtiger ist es, mit allen Parteien im Gespräch zu sein, auch mit der Forschung und der Industrie. Nicht, dass dies sonst nicht der Fall wäre, aber an einem Anlass wie dem Race for Life besteht die Chance, sich auch mal auf menschlicher Ebene zu unterhalten, nicht nur auf professioneller. Das gleiche gilt fürs betreuende Personal. Im Alltag rennt einem oft die Zeit davon. Im persönlichen Gespräch in einem positiven Umfeld zuzuhören, zu erfahren, wo man gerade noch Unterstützung braucht, war Gold wert.
Jedes Jahr erkranken 43'500 Menschen in der Schweiz an Krebs. Wie ist diese Zahl einzuschätzen?
Die Zahl ist steigend, dies aus zwei Gründen: Einerseits nimmt die Gesamtbevölkerung zu, andererseits nimmt das Durchschnittsalter der Bevölkerung zu. Da Krebs häufiger im Alter vorkommt, nimmt die absolute Zahl an Krebserkrankungen zu. In der Schweiz sind in der Todesursachen-Statistik immer noch Todesfälle wegen Herzkreislauferkrankungen an erster Stelle, gefolgt von Krebs. Die gute Nachricht: Die Chancen, eine Krebserkrankung zu überleben, nehmen ständig zu.
Welche Fortschritte haben Forschung und Medizin in den letzten Jahren gemacht?
Grosse Fortschritte wurden gemacht im Bereich der medikamentösen Behandlung durch Einführung von neuen Medikamenten – zum Beispiel der Immuntherapie –, neuen zellulären Therapien wie der CART-Zell Therapien, aber auch durch eine Verfeinerung der chirurgischen, strahlentherapeutischen und diagnostischen Verfahren.
Krebs gilt als Schreckgespenst, das jederzeit jede und jeden treffen kann. Inwiefern stimmt das, inwiefern nicht?
Einige Tumore sind mitverursacht durch Gewohnheiten wie Rauchen. Durch Verzicht auf solche kann das Risiko gesenkt werden. Aber grundsätzlich kann Krebs alle Menschen in jedem Alter treffen.
Welche Faktoren spielen sonst noch eine Rolle?
Neben externen Faktoren wie eben das Rauchen gibt es für gewisse Tumore eine genetische Risikosituation, eine sogenannte genetische Prädisposition. Darüber hinaus ist aber bekannt, dass bei einem grossen Teil der Krebserkrankungen immer auch der Zufall seine Finger im Spiel hat, zum Beispiel durch spontane Fehlerereignisse bei der Teilung von Stammzellen.
Für viele Menschen ist eine Krankheit wie Krebs immer noch ein Tabuthema.
Ich denke, das hat weniger mit Krebs an und für sich zu tun, sondern ganz allgemein mit Krankheit und existentieller Betroffenheit. In einer Gesellschaft, die nach Perfektion strebt, haben solche Themen wenig Platz.
Kann ein Anlass wie das Race for Life da etwas bewirken?
Auf jeden Fall. Krankheiten wie Krebs sind eine Realität, die viele Menschen betreffen. Sichtbarkeit ist wichtig. Toll ist auch, dass der Event auf dem Bundesplatz, dem Zentrum der Politik, stattfindet. Das zeigt Betroffenen, dass sie wahrgenommen werden, dass sie nicht allein sind. Das Gefühl, Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, ist zentral, wenn es um solche existenziellen Fragen des Menschseins geht.
Was ist Ihr persönlicher Antrieb im Kampf gegen den Krebs?
Ich mag die Forschung, die Teil meines Jobs ist, genauso wie die praktische Arbeit. Natürlich motiviert und befriedigt es einen als Arzt, seinen Mitmenschen Gutes tun zu können. Dabei bin ich nicht einfach ein “Gutmensch”, es geht vielmehr ums Vertrauen, das enorm wichtig ist, ums Gespräch mit Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen. Meine Vision ist, dass jede und jeder die bestmögliche Behandlung erhält.
Als universitäres Zentrum sind Sie nahe bei der Forschung. Was bedeutet diese Nähe für die Patientinnen und Patienten?
Dank dieser Nähe halten wir stets unser Wissen à jour und können Patientinnen und Patienten auch Zugang zu neuen Behandlungsformen anbieten. Unser Ziel ist, dass diese geballte Ladung der Expertise – Forschung und medizinische Praxis – direkt den Patientinnen und Patienten zugute kommt. Dafür haben wir uns entsprechend aufgestellt und sind auch schon dafür zertifiziert worden. Das Netz der betreuenden Expertinnen und Experten ist engmaschig und entsprechend umfassend.
Ändert sich das eigene Verhältnis zu einer solchen Krankheit, wenn man beruflich damit zu tun hat?
Ja, es gibt einen besseren Einblick in die Bedeutung von medizinischer Exzellenz, aber auch in jene von menschlichen Qualitäten der betreuenden Fachkräfte und der Institution, in der diese Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonen, Radiologiefachpersonen und so weiter tätig sind.
Sie haben täglich mit Schicksalen von Patientinnen und Patienten und Angehörigen zu tun. Wie grenzen Sie sich ab?
Die Kunst besteht nicht darin, sich abzugrenzen, sondern den Patientinnen und Patienten und Angehörigen eine Begegnung auf menschlicher Augenhöhe zu ermöglichen. Das kann nicht nur den Betroffenen Halt geben, sondern ist auch ein Energiespender für die Fachkräfte.
Wie muss man sich den Alltag auf der Onkologie denn vorstellen?
Ich glaube, viele Leute haben da ein ganz falsches Bild im Kopf. Neben all den schwierigen Situationen gibt es durchaus auch sehr heitere und wunderschöne Momente. Zum Beispiel wenn man einer Patientin oder einem Patienten mitteilen kann, dass die Therapie erfolgreich war, dass er oder sie im besten Fall als geheilt gilt.
Waren Sie in Ihrem privaten Umfeld auch schon von Krebs betroffen? Reagiert man als Fachperson anders darauf als andere?
Ja. Manchmal hilft es, sich im Informations-Dschungel besser zurecht zu finden. Und manchmal hilft es auch, die vielen Chancen einer Krebsbehandlung klarer zu sehen, neben allen Risiken und Bedrohungen.
Sie sind mit 18 Inselspital-Teams am Race for Life gestartet. Wie schafften Sie es, so viele Mitarbeitende zu motivieren?
Im Inselspital sind wir seit vielen Jahren in interdisziplinären und interprofessionellen Teams unterwegs. Gute Krebstherapie ist immer Teamwork, das zeigt sich nun auch in der Motivation von Insel-Teams, beim Race for Life mitzumachen.
Was bewirkt die Teilnahme am Race for Life innerhalb des Inselspitals?
Der Solidaritätsgedanke des Rennens kommt im ganzen Haus gut an, es hat sich bereits in den vergangenen Jahren ein toller Teamgeist entwickelt, der sich dieses Jahr nochmal gesteigert hat.
Interview geführt durch die viceversa gmbh.