Wenn der Krebs „gestreut“ hat, wird häufig eine Chemotherapie eingeleitet. In welchen Fällen ist eine stereotaktische Radiotherapie sinnvoll?
Prof. Aebersold: „Die technische Weiterentwicklung der Strahlentherapie erlaubt seit vielen Jahren eine fokussierte Bestrahlung von Tumoren und Metastasen, die sogenannte „Stereotaxie“. Diese Präzisionsbestrahlung ist in der Lage, bei manchen Patienten mit maximal fünf Metastasen eine erfolgreiche Tumorkontrolle zu erreichen, in einzelnen Fällen bis hin zur Heilung. Bei multiplen Metastasen würde man zu einer Chemotherapie tendieren.“
Welche Diagnoseschritte sind im Vorfeld notwendig?
Prof. Aebersold: „Es ist unbedingt notwendig, den gesamten Körper zu beurteilen. Dies geschieht in der Regel im Rahmen einer PET-Untersuchung (Positronen Emissions Tomografie). Dabei werden durch die Injektion einer geringen Menge leicht radioaktiv markierter Stoffe die Stoffwechselvorgänge (metabolische Aktivitäten) im Körper sichtbar. Da Tumorzellen eine veränderte Stoffwechselaktivität entwickeln, lassen sich diese mit Hilfe der PET-Untersuchung nachweisen und lokalisieren. Wenn die Diagnose ergibt, dass tatsächlich nur eine begrenzte Anzahl von Metastasen vorliegt und der Patient einverstanden ist, wird zur genauen Therapieplanung eine Computertomographie (CT) durchgeführt, die notwendige anatomische Daten liefert. Ein Strahlenphysiker erarbeitet dann mit Hilfe einer speziellen Software die Daten für die zur Bestrahlung verwendeten Linearbeschleuniger.“
Wie läuft eine stereotaktische Bestrahlung ab?
Prof. Aebersold: „Da wir mit präzisen, möglichst hohen Dosen arbeiten, sind in der Regel nur ein bis fünf Bestrahlungen notwendig. Die einzelnen Sitzungen dauern zwischen 30 Minuten und 1,5 Stunden. Die Bestrahlung erfolgt ambulant, so dass unsere Patienten ihren normalen Alltagstätigkeiten nachgehen können. Sofern möglich, versuchen wir alle Metastasen in einer Sitzung zu bestrahlen.“
Ist die Stereotaxie für alle Bereiche des Körpers geeignet?
Prof. Aebersold: „Wir besprechen die Durchführung einer Stereotaxie immer mit Spezialisten der Chirurgie, um für den individuellen Fall die bestmögliche Behandlung anzubieten. Bei Metastasen im Bereich des Gehirns erzielen wir mit Hilfe der Stereotaxie sehr gute Resultate bei ebenfalls sehr guter Verträglichkeit. Auch Metastasen in Lunge und Leber oder den Knochen lassen sich gut mit Hilfe der Radiochirurgie behandeln. Für eine Therapie von Hirnmetastasen reicht im günstigen Fall eine Bestrahlungssitzung. Das ist z.B. der Fall, wenn die Metastasen einen Durchmesser von maximal zwei bis drei Zentimetern haben. Bei ausgedehnten Hirnmetastasen mit einem Durchmesser von mehr als drei Zentimetern wird die Strahlendosis reduziert und auf mehrere Sitzungen verteilt. Dies ist auch bei Metastasen an kritischen Stellen wie in der Nähe von Schleimhäuten, der Speiseröhre oder vom Dünndarm ratsam.“
Wie belastend ist die Strahlentherapie für die Betroffenen?
Prof. Aebersold: „Die große Mehrzahl der Patienten gibt an, keine Nebenwirkungen zu spüren. Voraussetzung für eine optimale Verträglichkeit sind individuell angepasste Dosis-Konzepte. Mit akuten aber harmlosen Nebenwirkungen ist bei Metastasen in der Nähe von Schleimhäuten zu rechnen. Diese äußern sich z.B. durch Entzündungsreaktionen, Harndrang oder Durchfall. Spätauftretende Nebenwirkungen sind selten. In Einzelfällen kann die Strahlentherapie von Wirbelsäulen-Metastasen zu einem späteren Zeitpunkt zu Frakturen (Brüchen) führen.“
Wie gut sind die Heilungsaussichten nach einer Stereotaktischen Bestrahlung?
Prof. Aebersold: „Im Rahmen der lokalen Tumorkontrolle erreichen wir eine Erfolgsrate von 80 bis 90 Prozent. Die Ergebnisse der Stereotaxie ähneln damit den Erfolgen der chirurgischen Entfernung von Metastasen. Ob der Krebs zurückkommt, ist abhängig von der jeweiligen Risikogruppe. Aber die Zahl der Patienten steigt, die lange und sogar für immer Ruhe haben. Beim Wiederauftreten (Rezidiv) einzelner Metastasen kann manchmal erneut eine stereotaktische Bestrahlung durchgeführt werden. Einfacher ist es, wenn sich die Metastasen an anderer Stelle im Körper bilden. Ist das gleiche Organ betroffen, ist Vorsicht geboten. Insgesamt hat die Stereotaxie aber den großen Vorteil, dass sie nicht invasiv ist, ambulant ausgeführt werden kann und möglicherweise im Gesundheitssystem auch weniger Kosten verursacht. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit besteht, dass bestrahlte Tumorzellen, die abgebaut werden, eine Immunabwehr verstärken könnten, die sich gegen den Tumor richtet. Mit diesem Ansatz beschäftigen sich bereits aktuelle Forschungen.“
Interview: Susanne Amrhein