Etwa 80 Prozent aller Schlaganfälle werden durch den Verschluss einer Arterie im Gehirn verursacht (Ischämie). Von diesen werden bis zu 20 Prozent durch Blutgerinnsel hervorgerufen, die sich bei Menschen mit Vorhofflimmern im Herzen bilden. Vorhofflimmern ist ein unregelmässiger Herzrhythmus, von dem bis zu fünf Prozent der Menschen über 65 Jahre betroffen sind. Blutverdünner, so genannte direkte orale Antikoagulanzien (DOAC), werden zur Vorbeugung von Blutgerinnseln bei Menschen mit Vorhofflimmern eingesetzt. Bislang ist unklar, wie früh nach einem Schlaganfall mit dieser Behandlung begonnen werden sollte. Möglicherweise besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko, das in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall am höchsten sein kann. Andererseits könnte der mögliche Nutzen dieser Medikamente in den ersten Tagen auch am grössten sein. Angesichts dieser Unsicherheiten empfehlen die internationalen Richtlinien derzeit, den Beginn der DOAC-Behandlung zu verzögern.
Ist eine frühe Anwendung von DOACs nach ischämischen Schlaganfällen sicher?
Eine neue internationale klinische Studie unter der Leitung des Schlaganfallzentrums, Inselspital, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern hat diese Diskussion aufgegriffen. Die ELAN-Studie (Early versus Late initiation of direct oral Anticoagulants in post-ischemic stroke patients with atrial fibrillatioN) zeigt: Beginnt die Behandlung mit Antikoagulanzien früher, ist die Chance, ein erneutes Schlaganfall-Ereignis zu erleiden, wahrscheinlich geringer als bei einem späteren Behandlungsbeginn. Und das, ohne dass sich das Risiko von Komplikationen erhöht.
Die Studie untersuchte 2013 Personen mit einem akuten ischämischen Schlaganfall und Vorhofflimmern. Die Personen wurden zwischen 2017 und 2022 in 103 verschiedenen Stroke Units in 15 Ländern in Europa, dem Nahen Osten und Asien rekrutiert. Je nach Grösse und Ort des Schlaganfalls (d. h. leichter, mittelschwerer oder schwerer Schlaganfall) wurden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip einem frühen oder einem späteren, in den Leitlinien empfohlenen Behandlungsbeginn zugewiesen. Ein früher Beginn war definiert als innerhalb von 48 Stunden nach einem leichten/mittelschweren Schlaganfall oder am Tag 6-7 nach einem schweren Schlaganfall. Ein später Beginn war definiert als Tag 3-4 nach einem leichten Schlaganfall, Tag 6-7 nach einem mittelschweren Schlaganfall oder Tag 12-14 nach einem schweren Schlaganfall. Das primäre Ziel der Studie war es, die Rate an erneuten Schlaganfällen, symptomatischen Hirnblutungen, extrakraniellen Blutungen, systemischen Embolien oder vaskulären Todesfällen innerhalb von 30 Tagen nach der Zuteilung in die Studiengruppen zu ermitteln.
Die Studienergebnisse zeigen, dass nach 30 Tagen in der Gruppe mit früher Behandlung 2,9% der Teilnehmenden (29 Personen) und in der Gruppe mit später Behandlung 4,1% der Teilnehmenden (41 Personen) eines der zuvor genannten Ereignisse aufwiesen. Nach 90 Tagen betrug der Unterschied in der Ereignisrate zwischen den beiden Gruppen -1,9%. Ein erneuter Schlaganfall trat nach 30 Tagen bei 1,4% der früh behandelten Teilnehmenden (14 Personen) und bei 2,5% der spät behandelten Teilnehmenden (25 Personen) auf. In beiden Gruppen traten bei 0,2% der Teilnehmenden (2 Personen) symptomatische Hirnblutungen auf.
«Unsere Studie liefert wissenschaftliche Belege für ein häufiges Dilemma in der frühzeitigen Sekundärprävention nach einem ischämischen Schlaganfall. Angesichts unserer Ergebnisse ist ein früher Behandlungsbeginn sinnvoll, wenn er indiziert oder aus logistischen oder anderen Gründen erwünscht ist», kommentierte der Studienleiter Prof. Dr. med. Urs Fischer von den Universitätsspitälern Bern und Basel. Prof. Dr. Jesse Dawson von der Universität Glasgow betont, dass die Studie auch darauf hinweise, dass eine frühzeitige Blutverdünnung nur ein geringes Risiko für Hirnblutungen berge, besonders wenn die Behandlung auf einer Selektion durch die Bildgebung basiere.
In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden untersuchen, ob das Risiko und der Nutzen in verschiedenen Untergruppen der ELAN-Studienteilnehmenden ähnlich sind, insbesondere bei schwerer betroffenen Personen.
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