Interview mit Prof. Dr. med. Matthias Kopp
Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Universitätsspital Bern
Herr Kopp, zurzeit ist wieder eine engagierte Debatte im Gange, wie problematisch Tabakkonsum bei Jugendlichen sei. Wie stellen Sie sich aus medizinischer Sicht dazu?
Rauchen ist ein bekannter und sehr gut untersuchter Risikofaktor für viele Krankheiten. Bekannt sind das stark erhöhte Risiko für die sogenannte chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und ein etwa 20- bis 30-fach erhöhtes Risiko für Lungenkrebs. Aber auch das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag ist deutlich erhöht. Rauchen in der Schwangerschaft führt zu einem erniedrigten Geburtsgewicht des Kindes und einem erhöhten Risiko für Früh- und Totgeburten beziehungsweise für plötzlichen Kindstod. Die Liste der gesundheitsschädlichen Effekte des Rauchens ist lang. Aus medizinischer Sicht gibt es heute keinen Zweifel daran, dass Rauchen der bedeutendste Risikofaktor für viele vermeidbare Erkrankungen ist. Besonders problematisch ist das Rauchen von Kindern und Jugendlichen. Sie befinden sich noch in der Entwicklung ihrer Organsysteme. Wer früh mit dem Rauchen beginnt, schafft es meistens nicht mehr, damit aufzuhören.
Tabak macht schnell und sehr stark abhängig. Wie verhält sich dies bei Kindern und Jugendlichen
Die Gefahr, durch den Tabakkonsum schnell und stark abhängig zu werden, ist für Kinder und Jugendliche noch grösser als für Erwachsene, da die Wirkung von Nikotin auf das Gehirn bei Jugendlichen stärker ist. Die Nikotin-Abhängigkeit entwickelt sich besonders stark während der Adoleszenz. Eine Gehirnregion, der dabei eine besondere Rolle zukommt, ist der sogenannte Hippocampus. Hier findet die Einspeicherung neuer Gedächtnisinhalte statt, auch die «drogenbezogene» Gedächtnisspeicherung. Der Hippocampus wird während der Adoleszenz morphologisch und funktionell umstrukturiert und in dieser Phase besonders stark durch Nikotinstimulation beeinflusst. Das erklärt auch, warum viele Raucherinnen und Raucher, die im Jugendalter mit dem Rauchen begonnen haben, später nicht mehr aufhören können: So wissen wir heute, dass 80 Prozent der erwachsenen Raucherinnen und Raucher mit dem Rauchen bereits im Jugendalter begonnen haben, im Schnitt mit 14 Jahren! 94 Prozent haben mit dem Rauchen vor dem 25. Lebensjahr begonnen. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Personen, die im Kindes- und Jugendalter nicht mit dem Rauchen anfangen, das dann später nicht mehr tun werden. Da das Rauchen viele Organsysteme schädigt, ist es unsere Aufgabe und Verantwortung, Kinder und Jugendliche vor der Versuchung zu Rauchen so gut es geht zu schützen.
Was sind die Folgen eines frühen Tabakkonsums beziehungsweise einer frühen Abhängigkeit?
Die ersten negativen Auswirkungen des Rauchens treten rasch ein. Dazu gehört eine Einschränkung der Lungenfunktion, der Kondition sowie der Ausdauer. Wer aktiv Sport macht, wird das sehr rasch merken. Längerfristig kommt es zu einer unumkehrbaren Schädigung der Atemwege und der Herzgefäße. Das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, steigt um das 20- bis 30-fache an. Insbesondere Frauen haben ein erhöhtes Risiko für Thrombosen. Rauchen ist kein «Lifestyle»-Faktor oder eine schlechte Angewohnheit, sondern eine chronische (Sucht-)Erkrankung. Zigaretten machen abhängig, und Nikotin gilt – ähnlich wie Heroin und Kokain – als psychoaktive Substanz.
Wer früh mit dem Rauchen beginnt, hat eine geringere Lebenserwartung: Wer mit 14 Jahren anfängt zu rauchen, hat im Mittel eine um über 20 Jahre kürzere Lebenserwartung im Vergleich zu Personen, die erst als Erwachsene mit dem Rauchen beginnen oder überhaupt nicht rauchen.
Was kann die Kinderklinik Betroffenen bieten?
Unsere Aufgabe als Kinderärztinnen und Kinderärzten ist es nicht nur, Krankheiten zu heilen, sondern auch Krankheiten zu vermeiden – wo immer es geht. Diesem Präventionsgedanken kommt eine hohe Bedeutung zu. Prävention beginnt eigentlich schon mit der Beratung von jungen Familien, die sich Kinder wünschen. Die werdenden Eltern sollten früh über die gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens informiert werden. Sie sollten Hilfe erhalten und unterstützt werden, wenn sie selbst mit dem Rauchen aufhören wollen. Damit schützen wir die ungeborenen Kinder beziehungsweise die Säuglinge. Wir wissen heute zum Beispiel sehr genau, dass die Passivrauchexposition ein Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod ist. Es geht aber nicht nur um einen Schutzeffekt im Säuglings- und Kindesalter, sondern auch um eine Vorbildfunktion im Jugendalter. Kinder und Jugendliche beginnen viel eher zu rauchen, wenn das auch die Eltern tun (Modelllernen).
Neben der Information über die gesundheitsschädlichen Effekte des Rauchens ist es wichtig, dass wir die Jugendlichen aktiv darauf ansprechen – nicht nur dann, wenn sie in unsere Spezialambulanz für Lungenerkrankungen kommen, sondern generell, wenn sie mit Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten Kontakt haben.
Wir Ärztinnen und Ärzte haben sehr große Einflussmöglichkeiten auf unsere Patientinnen und Patienten. Sie kommen zu uns in einem Moment erhöhter persönlicher Vulnerabilität und zeigen daher eine relativ hohe Bereitschaft zur Verhaltensänderung. Ein Beispiel hierfür ist die Schwangerschaft: Wer in dieser Phase entscheidet, das Rauchen einzustellen, hat eine dreimal längere Abstinenzdauer als die «normale» Abstinenz zu einem beliebigen anderen Zeitpunkt.
Aus meiner Sicht haben Ärztinnen und Ärzte auch eine gesellschaftliche Verantwortung, Jugendlichen eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. Als Kinderärztinnen und Kinderärzte muss es uns langfristig darum gehen, für eine tabakfreie Umgebung von Kindern und Jugendlichen zu sorgen.
Link: Kinderklinik Bern, Inselspital, Universitätsspital Bern