Seit 2015 werden alle Schwerverletzten, welche in einem der 12 Schweizer Traumazentren behandelt werden, in einem nationalen Register (STR) erfasst. Ein Berner Team aus der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin und dem Universitären Notfallzentrum am Inselspital, Universitätsspital Bern nahm für die Jahre 2017-2019 erstmals eine Auswertung des Registers mit dem Fokus auf Schuss- und Stichwaffenverletzungen vor.
Schwerverletzte durch Schuss- und Stichwaffen in der Schweiz selten
Gewaltdelikte werden in der Öffentlichkeit sehr stark wahrgenommen. Dr. med. Christian T.J. Magyar, Erstautor der Studie erläutert: «Die Auswertung des Traumaregisters zeigt: nur gerade 1.6 Prozent aller im STR aufgeführten Schwerverletzten gehen auf Schuss- und Stichwaffen zurück. Diese Zahl liegt in Deutschland in einem ähnlichen Bereich (Schusswaffen: 0.5% und Stichwaffen: 1.8%). Die Versterbensrate von Personen, die durch Schuss- oder Stichwaffen schwer verletzt hospitalisiert wurden, liegt im Durchschnitt bei 28.4 Prozent.»
Geringere Überlebenschance bei selbst zugefügter Schussverletzung
Weniger günstig sind dagegen die Prognosen für bestimmte Untergruppen. So überlebte nur jede zweite hospitalisierte Person, eine schwere Schussverletzung. Wenn die Schussverletzung selbst zugefügt wurde, stieg die Sterblichkeit der untersuchten Gruppe auf zwei Drittel. Wurde die Schussverletzung selbst am Kopf zugefügt, betrug die Mortalität sogar knapp vier Fünftel aller Fälle. Im Vergleich dazu überlebten gut vier von fünf hospitalisierten Schwerverletzten die von Dritten zugefügten Schussverletzungen.
Die Sterblichkeit durch Schusswaffen in der Schweiz lag im untersuchten Zeitraum höher als in Deutschland (50% gegen 38%). Die Autoren sehen eine Erklärung darin, dass sich in der Schweiz mehr Personen schwere Schusswaffenverletzungen selbst zufügen als in Deutschland (66% gegen 56%). Einen möglichen Erklärungsansatz sehen sie im unterschiedlichen Umgang mit Schusswaffen. Die Schweizer Besonderheit, dass Wehrpflichtige ihre Waffe zu Hause aufbewahren können, ist in diesem Zusammenhang schwierig einzuschätzen.
Verletzung am Torso: Zeit bis Einlieferung in Notfall entscheidend
Die Sterblichkeit bei schweren Verletzungen durch Schuss- und Stichwaffen am Körperstamm (Torso) lag gemäss dem STR im Durchschnitt bei 15 Prozent. Die häufigste Todesursache in dieser Gruppe ist eine zu späte Kontrolle und Behandlung von inneren Blutungen. Deshalb hat für diese Patientinnen und Patienten ein sofortiger Transport in ein ausgewiesenes Traumazentrum höchste Priorität.
Gemäss den Studienresultaten ist die Dauer ab dem Eintreffen der Rettungsdienste bis zur Einlieferung in das Notfallzentrum mit durchschnittlich 57 Minuten im internationalen Vergleich eher lang. Sie ist noch vergleichbar mit Deutschland (58-68 Minuten), jedoch deutlich länger als in den USA (22-44 Minuten). Die Zeiten aus den USA stammen jedoch häufig aus urbanen Zentren mit kurzen Transportwegen. Trotzdem sehen die Studienautoren darin Potential für einen allfälligen Tempogewinn im Schweizer Rettungswesen.
Rettung bei Schuss- und Stichwaffenverletzung anpassen
Die Berner Studie, die im European Journal of Trauma and Emergency Surgery publiziert wurde, ist die erste Auswertung von Schuss- und Stichwaffenverletzungen des Swiss Trauma Registry. Sie fokussierte auf die bisher noch nie schweizweit bearbeitete Gruppe der Schuss- und Stichwaffenverletzten, die eine spezielle Strategie bei der Rettung und Notfallbehandlung brauchen. Insgesamt 134 Personen entsprachen den festgelegten Kriterien (Verletzungsursache, Schwere der Verletzung). 64 Personen waren wegen schwerer Schussverletzungen eingeliefert worden, 70 Personen wegen schwerer Stichverletzungen. Das durchschnittliche Alter betrug 41 Jahre und 83 Prozent waren männlichen Geschlechts.
Ausblick, offene Fragen, weitere Forschungsarbeit
Diese Auswertung des Traumaregisters belegt die Nützlichkeit einer systematischen und flächendeckenden Datenbereitstellung eindrücklich. Ein einzelnes Zentrum kann eine solche Arbeit nicht leisten. Zum Vergleich: während der dreijährigen Studiendauer ergaben sich nur zwei (0-14) Einlieferungen von schwerverletzten Patientinnen und Patienten mit Schuss- oder Stichwaffenverletzung pro Zentrum und Jahr. Prof. Dr. med. Beat Schnüriger fasst zusammen: «Schwere Verletzungen nach Schuss- und Stichverletzung müssen sehr selten in Schweizer Spitälern behandelt werden. Trotzdem sind auch wir in der Schweiz immer wieder mit diesem Verletzungsmuster konfrontiert und die Behandlungsresultate sind international vergleichbar. Verbesserungspotential orten wir bei einer beschleunigten Rettungskette insbesondere für Patienten mit isolierten Schuss- oder Stichverletzungen am Torso. Die Zentralisierung dieser Schwerverletzten in den 12 Traumazentren kann noch vorangetrieben werden. Zudem braucht es ein regelmässiges und kontinuierliches Training und Fortbildung der behandelnden Traumateams, so zum Beispiel an den ‘Swiss Trauma & Acute Care Surgery Days’, welche jährlich am Inselspital in Bern stattfinden.»
Expertinnen, Experten:
- Dr. med. Christian T.J. Magyar, Assistenzarzt, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. med. Beat Schnüriger, Leitender Arzt, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern und Universität Bern
Links:
- Magyar, C.T.J., Bednarski, P., Jakob, D.A. et al. Severe penetrating trauma in Switzerland: first analysis of the Swiss Trauma Registry (STR). Eur J Trauma Emerg Surg (2021). https://doi.org/10.1007/s00068-021-01822-w
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