Die Diagnose Hirntumor verändert das Leben eines Menschen schlagartig. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Und das gilt nicht nur für die Patientin oder den Patienten selbst, sondern auch für das gesamte enge familiäre und soziale Umfeld. Neben den körperlichen Beeinträchtigungen und der oft anstrengenden und kräftezehrenden Krebstherapie kann die seelische Belastung immens sein. Fragen, Ängste und Traurigkeit gehören zum neuen Alltag. Hier können ein offenes Ohr, ein verständnisvolles Gespräch oder auch eine psychologische Beratung wertvolle Unterstützung bieten. Zur Verfügung stehen dafür am Inselspital die Mitarbeitenden des Seelsorgeteams und die Spezialisten des Psychoonkologischen Dienstes.
Alexander Wünsch, Psychoonkologe
PD Dr. Alexander Wünsch leitet seit einem Jahr den Psychoonkologischen Dienst am Inselspital in Bern, der der Universitätsklinik für Medizinische Onkologie angegliedert ist. Die Psychoonkologie bietet Krebserkrankten Unterstützung bei allen persönlichen Themen, die sie im Rahmen ihrer Erkrankung beschäftigen. Dies sind häufig themenbezogene Beratungen wie beispielsweise der Umgang mit körperlichen Veränderungen oder Einschränkungen, die Kommunikation mit Familie und Freunden, konkrete Zukunftssorgen und Ängste.
Aber auch Gespräche über existenzielle Themen wie Trauer und Traurigkeit, der Sinn und die Endlichkeit des Lebens oder sogar längere psychotherapeutische Behandlungen bei grossen Ängsten, Depressionen oder anderen psychischen Störungen gehören zu den Aufgaben der Psychoonkologie.
Die sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Psychoonkologischen Dienstes sind dabei Ansprechpartner während des gesamten Behandlungszeitraums sowie darüber hinaus. «Häufig ist der erste Kontakt stationär, und die weitere Betreuung findet dann ambulant statt», so Alexander Wünsch. «In der Neurochirurgie ist es eher so, dass die Patienten nicht sehr lange auf Station liegen.» Knapp 20 Prozent der Hirntumorpatientinnen und -patienten nutzt das psychoonkologische Beratungsangebot.
Bei den Gesprächen mit Hirntumorpatientinnen und -patienten gibt es, laut Alexander Wünsch, zwei oder drei Hauptthemen. «Eines dieser Themen ist Traurigkeit und Trauer. Betroffene trauern um den Verlust von Fähigkeiten, Möglichkeiten, die nicht mehr realisiert werden können, Lebenskonzepte, von denen man sich verabschieden muss.
Ein sehr wichtiges Thema ist auch die Angst – vor allem die Angst davor, was kommen wird. Hier hilft es, sich in Gesprächen der Angst zu stellen und sie konkret zu benennen. Der dritte wichtige Themenbereich berührt dann das Existenzielle. Was bedeutet dieser Tumor für mich? Werde ich sterben? Welchen Sinn möchte ich meinem Leben geben?»
Betreut werden nicht nur die Patientinnen und Patienten selbst, sondern auch ihre Angehörigen. «Wir sehen Patienten und Angehörige häufig gleichzeitig. Manchmal ist es auch so, dass wir nur die Angehörigen betreuen. Aus unserer Erfahrung und von wissenschaftlicher Seite her wissen wir, dass die Angehörigen von Krebspatientinnen und -patienten sehr oft genauso stark belastet sind wie die Erkrankten selbst», so Alexander Wünsch.
Marianne Kramer Abebe, Pfarrerin und Seelsorgerin
Die Seelsorge am Inselspital besteht aus einem Team von insgesamt zehn Theologinnen und Theologen, die allen Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen, die ein Bedürfnis nach Seelsorge und einem Gespräch haben. «Wir arbeiten dabei über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg», so Marianne Kramer Abebe, Pfarrerin und Seelsorgerin am Inselspital seit 15 Jahren und zuständig für den Medizinbereich Neuro und Tumor. Unterstützt wird das Team von einem muslimischen Seelsorger und einem Priester, die bei Bedarf für spezielle Angebote zuständig sind.
Im Unterschied zum Psychoonkologischen Dienst ist die Seelsorge auch als Care Team organisiert und in Notfallsituationen über den Pikettdienst sieben Tage die Woche jederzeit erreichbar. Auch nachts. Die Betreuung der Patientinnen und Patienten findet hauptsächlich im stationären Bereich statt.
Marianne Kramer Abebe nimmt am interdisziplinären Rapport teil oder wird von den Pflegekräften auf Station aufmerksam gemacht, welche Patientinnen und Patienten Unterstützung benötigen oder den Wunsch nach einem Gespräch geäussert haben. Dann geht die studierte Theologin und gelernte Hebamme einfach mal vorbei und stellt sich vor.
«Nach dem Klischee läuft eine Seelsorgerin ja mit der Bibel unter dem Arm auf Station von Bett zu Bett. In Wirklichkeit funktioniert das aber überhaupt nicht so. Ich habe nicht einmal eine Bibel in der Tasche (lacht). Eigentlich nur das Handy», so Marianne Kramer Abebe.
Wenn Patientinnen oder Patienten das Gesprächsangebot annehmen, dann setzt sie sich dazu und nimmt sich Zeit «Ich war selbst schon Patientin und da merkt man, es setzt sich eigentlich fast nie mehr jemand mit einem Stuhl ans Bett. Alle stehen. Du liegst im Bett, und alle stehen und schauen auf dich herunter und du merkst, sie sind auf dem Sprung und müssen schon wieder weiter. Und wir von der Seelsorge nehmen einen Stuhl, setzen uns ans Bett und haben einfach Zeit. Das ist schon ein Riesenluxus.»
Marianne Kramer Abebe hört vor allem zu. «Für mich ist der Patient, die Patientin Experte für die eigene Situation und sie sagen mir, wie sie vorgehen wollen. Ich komme also nicht her und erzähle etwas. Es geht oft einfach darum zu erfahren, wo steht der Mensch, der mir da gegenüber sitzt? Was ist eigentlich genau und wie kann ich ihn unterstützen? Das ist nicht immer das, was man denkt»
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Wie unterscheiden sich seelsorgerische und psychoonkologische Betreuung? Darauf antwortet Alexander Wünsch: «Also ich sehe in erster Linie grosse Gemeinsamkeiten. Wir arbeiten beide über das Gespräch, wir hören genau zu, greifen die existenziellen Fragen auf. Die Themen rund um die Endlichkeit und Sinnhaftigkeit des Lebens stellen wahrscheinlich die grösste Überschneidung zur Seelsorge dar.»
Die Seelsorge hat ein höheres Verschwiegenheitsgebot. Die Psychoonkologischen Dienste fallen unter die ärztliche Schweigepflicht und haben einen Behandlungsauftrag. Das bedeutet, dass sich die Psychoonkologen auch mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräften austauschen, was die Seelsorge manchmal nicht so klar kann.
Es ist Marianne Kramer Abebe auch wichtig zu betonen, dass die Seelsorge keine Diagnosen stellt und keine Therapie macht. «Wir schauen einfach, was der Mensch für Ressourcen hat, an die wir vielleicht erinnern können. Das ist auch ein Unterschied zum Angebot des Psychoonkologischen Dienstes.» Das sieht auch Alexander Wünsch so. «Der Unterschied ist, dass wir Psychoonkologen bei bestimmten psychischen Störungen fachgerichteter vorgehen, dass wir Interventionen haben zu Angstbewältigung und Trauer oder dass wir psychotherapeutische Massnahmen anwenden können.»
Unterstützende Angebote in der Zukunft
Was wünscht sich Alexander Wünsch für die Zukunft? «Ich würde mir ein Angebot wünschen, das die ganze Familie berücksichtigt, auch die Kinder von krebserkrankten Eltern. Ein Angebot, wo diese Kinder recht einfach und unkompliziert hier am Inselspital in ein Zentrum gehen könnten, wo über Kunsttherapie, über Spieltherapie, über Musiktherapie ein kindgerechter Zugang zu den kindlichen Lebenswelten und deren Bedürfnissen hergestellt werden könnte.
Ich glaube, so ein Angebot wäre auch vor allem in der Neurochirurgie sinnvoll, weil hier ja viele der Patientinnen und Patienten noch recht jung sind und noch kleinere Kinder haben. Und einige dieser Kinder erleben ja tatsächlich, dass ein Elternteil stirbt. Wenn diese Kinder kontinuierlich betreut werden könnten, fände ich das sehr schön.»
Und was wünscht sich die Seelsorgerin Marianne Kramer Abebe für die Zukunft? «Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es auch weiterhin so ein grosses interdisziplinäres Engagement gibt. Ich glaube, es sind wirklich alle – vom Operateur bis hin zur Pflegekraft – daran interessiert, dass jeder einzelne Mensch hier gut versorgt und unterstützt wird. Meiner Meinung nach haben wir hier am Inselspital eine sehr hohe Qualität, und ich wünsche mir ausreichend Ressourcen, dass das auch so erhalten werden kann.»