Die fünf Finalisten aus den USA, Kanada, Spanien, Frankreich und Deutschland haben sich gestern Abend an der öffentlichen HORAO-Konferenz in Bern ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Sie alle hatten 2018 am globalen Crowdsourcing-Wettbewerb (Intelligenz der Masse) zur Entwicklung eines noch stärkeren Mikroskops für Hirntumoroperationen teilgenommen und waren von einer international renommierten Jury für die Teilnahme am Finale nominiert worden. An der HORAO-Konferenz stellten sich die fünf Finalisten der letzten Herausforderung: Sie präsentierten ihren Lösungsvorschlag vor der Jury und dem Publikum, die schliesslich per E-Voting den definitiven Sieger festlegten.
Hirntumore mit «Müller-Polarimetrie» erkennen
Der Sieger Ivan Gusachenko, Entwicklungsingenieur bei Cailabs in Rennes in Frankreich, schlägt vor, die «Optische Müller-Polarimetrie-Bildgebung» zu verwenden, um Tumore während der Hirntumoroperation darstellen zu können. Die «Müller-Polarimetrie» verwendet polarisiertes (d. h. organisiertes) Licht, um Gewebestrukturen zu untersuchen. Organisierte Strukturen im Hirn (Hirnfasern) reflektieren polarisiertes Licht anders als unorganisierte Zellen (Tumore). Gusachenko schlägt vor, das chirurgische Mikroskop mit Polarisatoren auszustatten, damit Tumorränder direkt auf dem Mikroskopbild, das der Chirurg beziehungsweise die Chirurgin während der Operation sieht, eingeblendet werden können.
Mit dem Preisgeld in Höhe von USD 35 000 und der weiterführenden Unterstützung durch einen erfahrenen Coach soll sein Projekt dereinst zur Marktreife gebracht werden.
Berner Innovationsgeist und Pionierarbeit
Ziel des HORAO-Projekts ist es, innovative Technologien zu finden, die die Grenzen zwischen Tumor und gesundem, umliegendem Gewebe (Hirnfasern) während Hirntumoroperationen sichtbar machen können, damit Neurochirurginnen und -chirurgen Hirntumore noch sicherer operieren können.
Hinter dem Projekt steht ein Team rund um Prof. Dr. med. Philippe Schucht, Leitender Arzt in der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital, Universitätsspital Bern. Das Team hat 2017 das erste Crowdfunding im Bereich Medizinforschung in der Schweiz erfolgreich durchgeführt, um 2018 einen globalen Crowdsourcing-Wettbewerb zu lancieren. Crowdsourcing ist im Gegensatz zu Crowdfunding in der Schweiz noch wenig bekannt – vereint jedoch das kreative und intellektuelle Potenzial von abertausenden Innovatoren aus den unterschiedlichsten Fachgebieten weltweit.
Insgesamt interessierten sich über 10 000 Personen für das HORAO-Crowdsourcing. Mehr als 270 Forscherinnen und Forscher und 18 Teams aus über 30 Ländern von jedem Kontinent der Welt nahmen am Wettbewerb teil. 45 Projekte aus über 20 Ländern wurden eingereicht.
Die fünf Finalisten im Überblick
Rang | Finalist | Lösungsvorschlag | Land | Preisgeld |
1 | Ivan Gusachenko | Hirntumore mit «Müller-Polarimetrie» erkennen | Frankreich | $35,000 |
2 | Leon Weninger’s und Daniel Truhn’s Team | Hirntumore mit polarisiertem Licht erkennen | Deutschland | $12,000 |
3 | Brent Weyers's Team | Hirntumore mittels Fluoreszenzspektroskopie- Instrument (ms-TRFS) erkennen | USA | $1,000 |
Finalist | Alicia Martinez-González | Hirntumore mittels mathematischer Software erkennen | Spanien | $1,000 |
Cliff Edwards | Hirntumore mit optischer Polarisationstraktographie erkennen | Kanada | $1,000 |
Weitere Informationen zu den Finalisten finden sich auf der HORAO-Website.
Was bedeutet HORAO?
«Orao» ist ein Verb aus dem Griechischen. Es hat viele inhärente Bedeutungen, die die Komplexität des Projekts symbolisieren: Auf der einen Seite bedeutet HORAO, etwas mit den Augen zu sehen, auf der anderen Seite bedeutet es auch, etwas mit dem Verstand zu sehen. Neurochirurginnen und Neurochirurgen benötigen beides.